Doppelbesteuerung durch Erbschaftsteuer bzw. Schenkungsteuer und Einkommensteuer?

12.04.2021
Juergen_Grosskopf-Dibs_3



Ein Beitrag von
Jürgen Großkopf-Dibs
,
Partner bei MUNKERT & PARTNER
Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth), Rechtsanwalt, Steuerberater

Doppelbesteuerung durch Erbschaft-/Schenkungsteuer und Einkommensteuer?

Ein zentraler Aspekt der Nachfolgeplanung liegt erfahrungsgemäß bei der Betrachtung der mit einem Vermögensübergang einhergehenden steuerlichen Folgen nach dem Erbschaftsteuergesetz einerseits sowie dem Einkommensteuergesetz andererseits. Zwar lassen sich in der Praxis einige Nachfolgeszenarien hinsichtlich deren steuerlicher Auswirkung konkret zuordnen, allerdings haben Erbschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits Berührungspunkte, da beide Steuerarten auf denselben Steuergegenstand – den Vermögenszuwachs beim Erwerber – zugreifen. Nach wie vor fehlt es an einer gesetzlichen Rangordnung zwischen den beiden Steuerarten, so dass das Verhältnis zwischen dem Erbschaftsteuer-/Schenkungsteuerrecht auf der einen Seite und dem Einkommensteuerrecht auf der anderen Seite als noch nicht abschließend geklärt bezeichnet werden kann.

1. Hintergrund

Ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, dass sämtliche Steuern gegenseitig aufeinander abgestimmt sein müssen oder dass eine mehrfache Steuerbelastung vermieden werden muss, existiert nicht. Das Bundesverfassungsgericht sieht vielmehr einen großen Ermessensspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich des Steuergegenstandes und des Steuersatzes. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, dass mehrere Steuern an denselben Sachverhalt bzw. Steuergegenstand anknüpfen. Verfassungsrechtlich bildet lediglich die sogenannte unzulässige Übermaßbesteuerung nach Artikel 14 Grundgesetz eine Grenze, d. h. dass faktisch erst innerhalb der jeweiligen Steuerart eine Bindung an die Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit erzeugt wird.

Die finanzgerichtliche Rechtsprechung lässt in letzter Zeit eine gewisse Entscheidungslinie im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Erbschaft- und Schenkungsteuer einerseits sowie Einkommensteuer andererseits erkennen. Vereinfacht gesagt, wird dabei im Hinblick auf die Abgrenzung beider Steuerarten allgemein davon ausgegangen, dass die Einkommensteuer den entgeltlichen Leistungszuwachs aufgrund einer Marktteilnahme erfasst und die Erbschaft- und Schenkungsteuer hingegen die unentgeltliche Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Folge einer Zuwendung.

Auf Grundlage dieser Abgrenzungsmöglichkeit könnte demnach gefolgert werden, dass ein Vermögenszuwachs entweder durch entsprechenden Arbeits- oder Vermögenseinsatz erfolgt ist oder aber andererseits geschenkt oder vererbt wurde und somit eigentlich nicht gleichzeitig entgeltlich und unentgeltlich erfolgt sein kann. Trotz dieser Abgrenzung sind bislang diverse Einzelfragen ungeklärt, so dass dennoch eine doppelte Erfassung durch beide Steuerarten denkbar bzw. nicht ausgeschlossen erscheint. In diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert, dass die Finanzverwaltung nicht sämtlichen Entscheidungen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung folgt und dass die Festsetzung eines Vermögenszuwachses im Rahmen einer Steuerart einer Berücksichtigung im Rahmen der jeweils anderen Steuerart nicht entgegensteht, d. h. dass durch eine rechtswidrige Besteuerung eines Vorgangs kein Vertrauenstatbestand derart geschaffen wird, der von einer späteren Einbeziehung des Vermögenszuwachses in die jeweils andere Steuerart schützt. Aus diesem Grund ist in der Praxis regelmäßig die Offenhaltung von Einkommensteuer- als auch Erbschaftsteuer-/Schen-kungsteuerbescheiden regelmäßig bis zur Klärung sämtlicher Streitfragen zu empfehlen.

2. Ausgewählte praxisrelevante Fallgestaltungen

Auch wenn infolge der neuen Erbschaftsteuerrichtlinien einige praxisrelevante Einzelfragen (insbesondere im Zusammenhang mit einem Ausscheiden aus Gesellschaften) geklärt wurden, bestehen weiterhin noch ungelöste Fragestellungen, die sich insbesondere auch in folgenden Sachverhalten zeigen.

  • Abfindung an Erbprätendenten
    Im Rahmen eines Erbvergleiches ist in der Praxis häufig die Abfindungszahlung an einen weichenden Erbprätendenten vorgesehen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bei dem Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins nicht klar ist, wer eigentlich Erbe geworden ist – so etwa bei Vorliegen mehrerer widersprüchlicher Testamente. In einem solchen Fall zahlt regelmäßig der im Wege des Vergleichs anerkannte Erbe eine Abfindung an den weichenden Erbprätendenten. Seit dem 25.06.2017 unterliegt eine solche Abfindungszahlung der Erbschaft-/Schenkungsteuer. Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes kann eine solche Zahlung daneben auch zu einkommensteuerpflichtigen Einkünften führen, insbesondere, wenn ein Erbe auf seine Rechte verzichtet und in diesem Zuge aus einer Personengesellschaft ausscheidet und dabei grundsätzlich nachfolgeberechtigt gewesen wäre. Der Bundesfinanzhof hat in dem Urteilsfall einen Veräußerungsgewinn nach §§ 16, 34 EStG angenommen.
  • Leibrenten, sonstige Renten und wiederkehrende Bezüge
    Bei vereinbarten wiederkehrenden Bezügen erfolgt regelmäßig eine doppelte Erfassung, da die unentgeltliche Bereicherung aus derartigen Rechten nach dem Erbschaftsteuergesetz durch Kapitalisierung und Abzinsung der laufenden künftigen Erträge erfasst wird, während eine gleichzeitige Erfassung beim Erwerber nach Maßgabe von § 22 Nr. 1 EStG erfolgt.
  • Latente Einkünfte
    Sofern bei einem Erblasser bzw. Rechtsvorgänger zwar eine steuerlich relevante Handlung vollzogen wurde und diese zu einer Vermögensänderung geführt hat, jedoch eine steuerliche Realisation noch nicht erfolgt ist, spricht man von sogenannten latenten Einkünften. Diese werden steuerlich mehrfach erfasst, wenn die Vermögensänderung durch den Erben bzw. Rechtsnachfolger realisiert wird.

    Als Beispiel hierfür lässt sich die Buchwertübertragung betrieblicher Sachgesamtheiten samt stiller Reserven im Sinne des § 6 Abs. 3 EStG anführen. Die im Betriebsvermögen gebildeten stillen Reserven werden hier zunächst als Bereicherung erfasst (§ 10 Abs. 1 Satz 2 und § 12 ErbStG). Im Fall der Realisierung unterliegen sie dann beim Rechtsnachfolger der Einkommensteuer. Zu einer weiteren Doppelbesteuerung kann es kommen, wenn für die übertragene Sachgesamtheit die Thesaurierungsbesteuerung nach § 34a EStG in Anspruch genommen wurde.

    Eine gleich gelagerte Doppelerfassung ist auch bei der Buchwertübertragung einzelner Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG denkbar.

    Entsprechend kann es auch im Bereich des steuerverstrickten Privatvermögens zu einer Doppelerfassung im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen mit stillen Reserven kommen.

    Auch bei Zinsen aus festverzinslichen Wertpapieren, Sparbüchern und ähnlichen Kapitalforderungen, die nicht mit dem Tod des Inhabers fällig werden und daher in vollem Umfang dem Erwerber zuzurechnen sind, ist eine doppelte Erfassung zu bedenken.

    Im Hinblick auf maßgebliche Haltefristen bei der Übertragung von Grundbesitz und Wertpapieren mit stillen Reserven ist bei einer Veräußerung durch den Rechtsnachfolger innerhalb der Haltefrist die hierdurch ausgelöste denkbare doppelte Erfassung zu berücksichtigen.

3. Anrechnungsmöglichkeit der Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer nach § 35b EStG

Nach § 35b EStG sind bei der Ermittlung des Einkommens auf Antrag Einkünfte zu ermäßigen, die im selben Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Hierdurch ist eine Abmilderung der Doppelerfassung durch Einkommensteuer und Erbschaftsteuer denkbar.

Zu beachten ist jedoch, dass § 35b EStG voraussetzt, dass die betroffenen Einkünfte der tariflichen Einkommensteuer unterliegen. Umgekehrt kann damit die Steuerermäßigung gerade nicht gewährt werden, wenn die Einkünfte dem Abgeltungsteuersatz von 25 % unterliegen. Damit ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass mit dem Abgeltungsteuersatz nicht nur ein etwaiger Werbungskostenabzug abgegolten sein soll (§ 20 Abs. 9 EStG), sondern auch die Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer. Dies hat faktisch die  Erhöhung des Abgeltungsteuersatzes zur Folge.

Eine Gewährung der Steuerermäßigung nach § 35b EStG erfolgt auf Antrag in der Weise, dass ein erbschaftsteuerlicher Durchschnittssteuersatz, der auf die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte entfällt, die schon Bestandteil der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage waren, von dem anteiligen Einkommensteuertarif abgezogen wird. Die auf die begünstigten Einkünfte entfallende anteilige Einkommensteuer ist nach dem Verhältnis der begünstigten Einkünfte zur Summe der Einkünfte zu ermitteln.

Zu beachten gilt ferner, dass die Steuerermäßigung nach § 35b EStG nach deren eindeutigem Wortlaut keine Anwendung in Schenkungsfällen findet. Dies wird damit begründet, dass bei Schenkungen unter Lebenden größere Gestaltungsspielräume bestehen als in Erbfällen, z. B. insbesondere ein rechtzeitiger Wechsel zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG oder die Realisierung stiller Reserven durch den Schenker denkbar ist.



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